
Dienstag, 25. März 2025
Wo wir gerade über Outsider-Art sprechen. Wer wie ich seit ein paar Jahren Sarah Lee folgt, einer Krankenschwester aus Irland, die seit langem aber in London lebt, sich als Malerin mittlerweile einen Namen gemacht und nichts mit der gleichnamigen Künstlerin in New York zu tun hat, hat es sicher mitbekommen: Es gibt nun ein kleines Buch mit einer Auswahl ihrer Werke, auf 100 Exemlare limitiert und nur noch in geringer Stückzahl erhältlich.
Sarah Lee, der ein Kunstlehrer einst attestierte, nicht genug Talent für Kunst zu haben, startete während der Pandemie mit ihrem Instagram-Account und fand rasch eine interessierte und entzückte Gefolgschaft für ihre skurrilen, von B-Filmen und Pop-Kultur beeinflussten, krude gemalten Folk-Art-Bilder. Mythen, Märchen und Legenden vom unbefangenen Rotkäppchen bis zum weiblichen Blaubart speisen ihre Welt, dazwischen gesellen sich abgehalfterte Rockstars in billigen Hotelzimmern und kleine Alltagsdramen um Familie und andere Mitgefangene da draußen.
Ich finde Stil und Inhalte sehr ansprechend, es könnten vermutlich Erzählungen aus meinem eigenen Leben nach 22:00 Uhr sein. Noch mehr begeistert mich aber die Beharrlichkeit und die mittlerweile erlangte Souveränität, mit der hier eine Nische bespielt wird - subversiv, zitatenreich, melancholisch und augenzwinkernd zugleich. Ich hoffe, der erwähnte Kunstlehrer erinnert sich und schämt sich für seine enge Sicht und mangelnde Ermunterung. Man soll Menschen und ihre Kreativität nicht klein halten. Das Buch ist bei Joie Panique in Paris erschienen, in einer kleinen Reihe, in der auch Anke Feuchtenberger, Ryan Heshka oder Julia Soboleva veröffentlicht wurden.
Sarah Lee. Simulacre. Paris: Joie Panique, 2025.
>>> Interview mit Sarah Lee

Mittwoch, 19. März 2025
Norddeutsche Landschaft mit lieblichem Windrad
(Kohle, Aquarell auf Papier, 2025. 1000,- Mark)
Derzeit läuft die Bewerbungsfrist für die Gruppenausstellung "Lausig gemalte Bilder", bei der man bis zu drei Bilder beliebiger Genres einreichen kann. Ich bin ja viel draußen bei der Feldarbeit, sozusagen, und konzentriere mich dabei neben vieler anderer Dinge unter anderem auf Landschaftsmalerei. (Manchmal bin ich auch in der Fußgängerzone und versuche mich an lausig gemalten Porträts, aber dazu braucht es starke Nerven - sowohl für die Porträtierten als auch für den Maler, weil umstehende Menschen oft einfach nicht die Klappe halten können. Ich sag dann immer: "Hier ist doch nicht das Internet!" aber es kommt nicht an. Es kommt einfach nicht an.)
Fühle derzeit den kraftmalerischen Impuls, dem viel gescholtenen Windrad zu neuer Würde zu verhelfen. Gleich den holländischen Meistern der Polderlandschaftsmalerei stehe ich als Windradmaler an der Staffelei, rahme mit dem aus Zeigefingern und Daumen gebildetem Rechteck den bevozugten Ausschnitt, hole ein Käsebrot heraus und überdenke Probleme wie Perspektive und Anschnitt, tauche den Pinsel ins Wasserglas, mische die Farben und rufe der leeren Leinwand den alten Malergruß entgegen: "Toi! Toi! Toi!"
Jetzt bei milderem Wetter ist dies eine ganz wunderbare Sache. Anders als zum Beispiel die Schlittschuhmalerei, die man im Winter übt. Man trifft Menschen, die mit dem Rad vorbeifahren und klingeln, Menschen, die an Stöcken wandern oder Picknick machen und grüßen oder einfach nur ihre Hunde ausführen. Ich winke dann mit meinem Pinsel, schleudere dabei bunte Farben in die Luft und muss mich dann wieder sputen, weil das Windrad sich weitergedreht hat. (Drehen sich die Flügel zu weit, muss ich natürlich von vorne anfangen.)
So wird alles Schatten und Licht, wie das Leben quasi. Es ist ja nicht alles nur Spaß und Zauberei. Zwanzig Jahre habe ich zum Beispiel nur Zigarettenrauch gemalt, als Übung für gleichmäßige und elegante Hand- und Pinselbewegungen. Immer und immer wieder, bis mir der Rauch zu den Ohren herauskam. Nervtötende, langweilige Etüden. Und es ging auch auf die Lunge! Aber, wie ich immer sage, der lausige Meister muss locker sein. Sich achtsam einfügen in die Natur und fühlen, was der Wind so macht, diese unsichtbare Hand der Energieerzeugung. Denn wo Rauch ist, ist auch Feuer, und wo Wind ist, dreht ein Rad.

Mittwoch, 12. März 2025
Catching the big books: Wie im Zimmer eines Fans
Mitte der 80er-Jahre (ich musste meinen Schülerausweis fälschen) landete ich mit einer Bekannten im Kino in diesen „merkwürdigen“ Thriller, von dem so viel geredet wurde. Der Film hieß Blue Velvet und war in seiner unerwarteten und scharfkantigen Mischung aus Sex, Gewalt und groteskem Humor tatsächlich deutlich anders als das gewöhnlich präsentierte Kino dieser Zeit, das sich noch stark in „U“ und „E“ teilte, also den Hochglanz-Literaturschnarchern des Programmkinos und dem Kloppergenrekino, das meinen jugendlichen Geist ebenfalls nicht aus dem Sessel riss (ich hätte dafür ja ebenfalls meinen Schülerausweis fälschen müssen).
Mitte der 90er-Jahre (ich hatte bereits mehrfach meinen Studentenausweis verlängert) lockte mich eine anderen Bekannte ins Kino, weil dort David Lynchs Debütfilm Eraserhead laufen sollte, eine seltene Gelegenheit zumal in der eher verschlafenen bis kulturell trostlosen Stadt, in der wir da waren. Ein sicherlich falsch gedruckter Kalender (die Bekannte war sonst sehr gewissenhaft) führte aber dazu, dass Eraserhead gar nicht lief, sondern, das weiß ich noch, Tote schlafen besser mit Robert Mitchum, der zunächst auch nicht gezeigt werden sollte, weil sich nur drei zahlende Personen als Zuschauer eingefunden hatten, dann aber doch lief und auch sehr schön war, weil unter anderem Charlotte Rampling darin mitspielte.
Im Kino des David Lynchs passierte viel Merkwürdiges, insofern war das kleine Nicht-Erlebnis mit Eraserhead nicht verwunderlich, zumal dort Charlotte Rampling nicht mitspielt (und auch sonst in keinem seiner Filme). Zu dieser Zeit begeisterte Schülerausweisfälscher und beharrliche Studenten gleichermaßen sowieso ein anderes Ereignis: das Fernsehen, in diesem Fall das frisch eingeführte private, zeigte Twin Peaks, eine aufsehenerregende Show mit einer beinahe erwarteten scharfkantigen Mischung aus Sex, Gewalt und groteskem Humor, über die viel geredet wurde. Man musste damals noch jedes Mal eine (1) Woche warten, bis die nächste Folge gezeigt wurde – oder jemanden kennen, der Kontakte in die USA (ein großer Staatenbund in Nordamerika) unterhielt und Informationen und Gerüchte kabeln konnte. Andererseits gab es die notwendige Gelegenheit, sich regelmäßig mit anderen Intensivsehern im Büro der studentischen Hilfskräfte auf einen Kirschkuchen zu versammeln und Theorien zu beraten, wer denn nun diese Laura Palmer getötet haben könnte. Dear dead days.
Laura Palmer und habe ich 25 Jahre später wiedergetroffen, genau wie diese Bekannte, die ich zwischendurch aber auch sah, daher zählt das als Vergleich nicht viel. David Lynch hatte sich in dieser Zeit und ohne sein direktes Wissen ohne Zweifel in einen Künstler gewandelt, der mich sicher mehr geprägt hat als irgendjemand sonst. Manches Mal dachte ich, der sitzt wie ein Angler am Fluß meiner Träume und fängt sich da die dicken Fische raus! Er war da längst seine eigene Marke geworden mit unverkennbarer Silhouette, den schwarzen Anzügen, dem aufgetürmten Silberhaar und der Rauchwolke seiner Zigaretten, die immer über ihm hing. Seine Filme bohrten wie dicke Finger durchs Vorortidyll, durch amerikanische Träume und nostalgische Erinnerungen, puhlten das Grauen heraus, das Blut und die Brüche, und legte das Ohr an tiefe schwarze Abgründe, aus denen rückwärts gesprochene Botschaften quollen, geflüsterte Geheimnisse oder eindringliche Warnungen. Und ich bewunderte diesen Luxus, als vielleicht letzter Auteur weitgehend abseits großer Studios Filme produzieren zu können, die erkennbar seine Handschrift trugen und ansonsten auskömmlich und in Ruhe in seinem Haus (eigentlich zwei) am Mulholland Drive in Hollywood zu sitzen, Quinoa zu kochen und in einer strikten Tagesroutine in seinem Atelier zu malen und zu basteln. Living the Art Life, wie eine sehenswerte Dokumentation über ihn titelte. Toll. Es war die Zeit, als er begann, sein Werk zu sortieren. Das bildnerische diesmal, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, die in mehreren Bildbänden veröffentlicht und in einer großen Schau in Paris gezeigt wurden. Musik gab es und kleine Animationsexperimente. Er räumte auf und bestellte den Hof, schrieb seine Memoiren.
Die dritte Staffel von Twin Peaks entpuppte sich als faszinierenden Meisterwerk, das Fernsehgewohnheiten noch einmal komplett auf den Kopf stellte. In einigen Folgen pures, unerklärtes Kunstkino, eher eine Videoinstallation, wie man sie in einer Galerie oder einem Museum erwarten würde, und alles zur Prime-Time, also besten Sendezeit. Ein mysteriöser Thriller, eine Komödie voller groteskem Humor, eine elektrisch summende Seifenoper mit Sex und Gewalt – aber anders fokussiert, als in seinen früheren Werken. Danach begann er wieder mit täglichen Wetterberichten auf seinem Youtube-Kanal. Dort zog er auch die Glücksnummer des Tages aus einem Glasgefäß. Nie war die 7 darunter, und eine 37 gab es nicht. Als er nach einer Pause ein paar Wochen später wieder damit anfing, dachte ich erschrocken, dass er wohl krank müsse, so eingefallen und von Kraft beraubt wirkte er plötzlich. Das war wohl die Zeit seiner Diagnose. Eine Zeit lang machte er noch weiter im täglichen Wetterdienst aus seinem Atelier. Dann pausierte es erneut. Er sei in Gesprächen, hieß es. Ein neuer Film oder eine neue Serie mit dem Arbeitstitel „Wysteria“.
Im Januar aber, kurz vor seinem 79. Geburtstag, hielt das Herz zu schlagen auf. Komplikationen eines Lungenemphysems, offenbar Spätfolgen seines unablässigen Zigarettenkonsums. Die Waldbrände in L.A. Wirkten plötzlich wie ein letztes großes Fire Walk With Me, wie einer seiner vielleicht konsequentesten und verstörendsten Filme heißt. Er sei gestorben, hieß es. Dabei sieht man ihn in den eigenen Träumen doch vor sich: in einem roten Raum in seinem Haus in Hollywood, mit einer Sauerstoffmaske - so wie sein berühmter Bösewicht Frank (Dennis Hopper) in Blue Velvet. So betrachtet, hat er alles schon gewusst, wie wir ja immer alles schon wissen, also ahnen, und manchmal sogar zulassen. Nur die 7, die kommt nicht mehr.

Samstag, 22. Februar 2025
Im Zorn gesagt
Lange noch
Am anderen nagt
(Volksweisheit)
Der Mann als fliegender Hund. Acryl auf Raufaser. 2025. 1000,- Mark.
Das neue Jahr begann hier nicht mit einem guten Rutsch, sondern mit einem bösen Sturz und schleppte sich darauf nur mühsam durch einen blogtrockenen Januar. Einfach mal auf dem Rücken liegen bleiben und Pause machen! Die Rippen geprellt, ein Knirschen und Knarzen beim Heulen und Zähneklappern, lag ich meist mumienruhig auf dem Rücken. Nach zwei, drei Tagen ging es eigentlich mit den Schmerzen, außer beim Husten oder Räuspern, beim Lachen oder beim Atmen. Der Mensch aber ist ein Adaptionswesen und findet sich mit vielen Positionen erstaunlich schnell zurecht. Schongang, Schonhaltung, alles geschont, nicht immer schön.
The trick is to keep breathing, heißt es, wenn auch nicht tief ins Zwerchfell. Hechelatmung, Apnoeübungen, ich habe viel gelernt. Auch wie man mit Hilfe eines bereitgestellten Stuhls bauchmuskelmeidend den welken Körper vorsichtig aus dem Bett schiebt und sich an der Stuhllehne aufrichtet mit Ach! und Ächz! und Eijeijei. Wie ein trunkener Seemann in den Wanten, sich selbst anfeuernd zum Klogang (keine Details!) oder dem trübsinnigen Ausflug in eine leergefegte Kombüse.
Hinterher lachst du drüber! sagt mein Vater immer, und wenn man das tatsächlich wieder kann, hat man das Schlimmste überstanden. Lachen als Lackmustest für wehe Rippen. Oder auch sonst.
Das vergangene Jahr führte Projekte zu Ende, setzte Fahnen für neue, ließ ein paar ernste Themen winken, die 2025 mehr Aufmerksamkeit brauchen, Gesundheit, Familie, es sind so diese Phasen. Bester Satz, beim Blitzbesuch aus New York (das ist eine große Stadt in den USA) in Berlin aufgeschnappt: „You need a guitar!“ Ja! Und ich stellte einmal mehr fest, dass ich mich gerne mit Menschen umgebe, die einen ermuntern, und eher weniger gern mit solchen, die einen, wie heißt es, nicht so sehr ermuntern. Appellation statt einen Regenschirm über dem Kopf zusammenklappen.
Später noch Blitzbesuch in Wuppertal, und das war es doch auch schon mit dem Reisen, ich fang jetzt nicht schon wieder an mit Klage und Selbstbezichtigung. Aber besser werden darf das mit dem Ausflugsverhalten endlich einmal schon. Habe rote Markierungsnadeln großflächig auf eine Weltkarte gepinnt, nach dem Motto Wer weiß, wie lange das noch geht! denn weder ich noch die Welt an sich werden jünger. Alles unter dem trotzig-transzendentalen Motto Self-Reliance! Dann klappt es vielleicht auch mit Seitenstraßen und Obskurantem, eigenem Tempo und Achtsamkeit den Orten gegenüber, von denen ich mich gerne anerkennend, mit Ruhe und Blick in die untergehende Sonne verabschiede, wenn sie mir Freude bereitet haben. Für einen Tag oder länger.
Ein neugieriger Hund soll man sein, durch die Straßen flitzen, überall stehenbleiben, Nase voraus, Witterung aufnehmen, sich die Welt erschnüffeln. Jedes „Aus jetzt!“ kess ignorieren und ruhig auch mal vertraulich auf den Rücken wälzen. Nicht aber bei einem Sturz. Been there, done that, got the T-Shirt.

Dienstag, 24. Dezember 2024
Weihnachtsbaum, Goth-Edition
Heute feiern ja Gans und Franz Weihnachten und dann hat ja - wie jedermann weiß - auch dieses Blog Geburtstag. 21 Jahre sind es nun schon, in denen ich - "bewusst unterkomplex", wie die aktuelle Erfolgsformel für Funk und Fernsehen lautet - an diesem Ort meine Erinnerungen an eine Zeit, die es nie gab, ins Internet schreibe. Danke fürs Mitlesen und Korrigieren und Denkanstoßen!
Im angeblich gut sortierten Bahnhofsgeschäft hingegen bekam ich keine Zeitschrift, weil man dort nur bedient wird, wenn man rausgehörnte Ellenbogen besitzt und mein Indianername Der Mann, der am Imbissstand verhungerte lautet. Brot gab es beim Bäcker auch nur in drei Sorten, ebenso leer war es im Supermarkt, wohl weil halb Hamburg in der Eisenbahn Richtung anderswo saß.
Im erweiterten Bekanntenkreis kommt man in das Alter, wo die erste Scheidung durch ist, man sich nun ebenso halb-leer wie ein vergessener Supermarkt fühlt und experimentelle Beziehungsmodelle probiert. Polydingsda, Multisoundso, FreundschaftPlus oder einfach auch nur die Affäre mit dem Chef, der natürlich noch verheiratet ist, aber "in Trennung" lebt. Weihnachten sitzen sie allein unterm Baum, und ich sag' dann nichts. Meine Empfehlung ist Billy Wilders "Das Apartment", da lernt man alles, was man zu diesem Thema wissen muss. Einer der schönsten Weihnachtsfilme (neben "Der dünne Mann"), der nur nie an Weihnachten läuft.
Krippe mit Fuchs, Stern, dem Engel der Verkündung und Christkid
Ich habe derweil den Baum schön und noch schöner meine Ruhe. Am Heiligabend noch mal ordentlich durchwischen und -feudeln, sogar Fenster habe ich geputzt. Da mag es aber sein, dass es morgen eine schöne Bescherung gibt - wenn Licht durchs Streifenmuster fällt. Aber ist dann eben so. Während meiner von allerlei selbsterfundenen Liedern begleiteten Hausarbeit kam mir nämlich der Gedanke, dass ich mit WDR-Haushaltstippexpertin Yvonne Willicks gerne ein Buch mit dem Titel "Der gute Wille ist erkennbar" schreiben würde. Einen munteren Putzpositionsabgleich, der zu Entspannung und guter Laune führen würde.
"Wieder keine Rickenbacker!" (Assemblage mit Alpakasocken, Filzhausschuhen, Reisetauchsieder, Literatur, Kunstbuch, Grußkarten. Mixed-Media, 2024.)
Auf dem Gabentisch ebenfalls schon gute Laune. Neben Kunst und Buch, Literatur und Grußkarten sorgen die drei hl. Könige Filzhausschuh, Reisetauchsieder und Alpakasocke für festliche Stimmung. So schöne und praktische Geschenke habe ich mir lange schon nicht gemacht.
Ich hoffe, ihr seid auch zufrieden. Feiert heiter und esst ein gutes Bäckerbrot. Frohe Weihnachten!

Sonntag, 8. Dezember 2024
"Steinobst". (Skulptur, 2024. Holz, Bindfaden, Stein. 1000,- Mark.)
Im Leben kann man sich nur auf eins verlassen, und das ist die Kunst. Und wenn die Abende länger werden, so werden sie auch schöpferischer: Aus den im Sommer bei Mansardenwohnungshitze ausgebrüteten Ideeneiern pickt und schält sich nach und nach Gestaltetes heraus, so wie hier meine umwelt- und gesellschaftkritische Skulptur "Steinobst". "Harte Frucht vom kargen Baum/Sollst mein Wintermahl mir sein", heißt es im protestantischen Gesangbuch. Oder auch: "Schwer hängt die Frucht/Und wie ein Stein im Herzen".
Habe jetzt begonnen, meinen ersten Krimi zu schreiben, weil ich gehört habe, so etwas liefe gut als Genre und man käme auf diese Weise zu Geld, ohne dass man dabei selbst eine Bank überfallen müsste. Mein mit lokalem Ambiente gefülltes Debüt heißt "Dunkel war die Nacht" (AT), und der Anfang lautet: "Alles begann, als jemand sagte, mach doch mal Licht. Und es ward Licht. Und es ward eine andere Art von Finsternis. Und es waren nicht die umgekippten Stühle, die mit Unrat übersäten Möbel oder das viele Blut, das auf dem Boden lag."
Die ganze Chose soll herumbollern wie ein hartgekochtes Ei in einer Campingtasche, in der außer einem Kotelett und einer Flasche warmen Bieres auch ein Beweisstück liegt, hinter dem gesottene Polizisten her sind, sowie ein pfeifender Detektiv, der in der Kneipe "Zum letzten Loch" gastiert, und Gangster, die mit rauen Stimmen und ebensolcher Haut an den Fingerknöcheln durch den Hafennebel schleichen.
Vom Killer zur Killing Machine. Das kanadische Künstler- und Ehepaar Janet Cardiff und George Bures Miller sind für ihre Klanginstallationen und Filme bekannt. Reizvoll ist ihr antikes Klangkabinett, bei dem man durch Öffnen und Schließen der Schubladen eigene Mixe aus unterschiedlichen Soundfragmenten zusammenstellen kann, die den Raum nach und nach befüllen. The Killing Machine, eine Hommage an Franz Kafkas "Strafkolonie", eint verstörende Mechanik unter einer glitzernden Discokugel, der gleichnamige Begleitband mit hintergründigen Geschichten von zum Beispiel Philip K. Dick und vielen Fotos und Skizzen von rostigen Trichtern und anderen Klangerzeugern und -verstärkern sei dringend empfohlen. (Bei Hantje & Cantz.)
Die Briten haben das Walking Artists Network. Der Spazierbummel als kulturelle Praxis und Forschungs- und Sammlungsgang für visuelle Eindrücke, Umweltklänge und soziale Interaktion. Nie mehr "einfach so" unterwegs, sondern als entspannte ortsspezifische kulturelle Intervention - ob eins mit der Umgebung oder quer zu ihr. (Hier regnet es leider gerade.)
Dann sei halt wie ein Stein, genieße das Nichtstun. "Überlege nicht, was du als nächstes machst, sondern was du als nächstes bleiben lässt" heißt es in diesem wichtigen Arte-Beitrag übers Faulenzen und den Müßiggang. Dolce far niente in Italien und Abhängen in Berlin - aber natürlich nicht Durchhängen dabei, sondern mit Genuss der Ruhe nachhängen. "All art is perfectly useless", sie folgt keinem Zweck, heißt es. Schaff an einem anderen Tag.

Mittwoch, 20. November 2024
Und auch ansonsten alles Gute
(Chanson vom Niederrhein)
Dieses kleine alltagsnahe Chanson hat es leider nie ins Radio geschafft. Schon gar nicht ins urcoole. Nächstes Jahr im Jänner feiert der österreichische Sender FM4, bei dem ich leider noch immer keine eigene Sendung habe, sein bereits 30. Jubiläum. Da staunt's, so alt schaut ihr auf einmal aus. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal in Wien war und mir beim warm glimmenden Schein pulsierender Empfangsröhren FM4 nahegebracht wurde, Im Sumpf wahrscheinlich oder eine andere so kenntnisreiche wie verschrobene Sendung über Kunst, Musik, Literatur und Geschehen. Da ist man berauscht, wie der kleine Junge, der aus der Hamburger Provinz in die große Stadt kommt. FM4 war da natürlich längst etabliert, ein treuer Haushaltsbegleiter zehn Jahre nach dem herzzerklopften Senderstart, der damals ein Moment gewesen sen muss, als hätten sich die Türen gleich mehrerer finnischer Clubs für eine lange mit Trallala gequälte breite Öffentlichkeit geöffnet.
Instand crush für Sprecherin Angelika Lang, deren Stimme ich lange Jahre nur von Reisedokumentationen auf 3Sat kannte und die ich neben der leider früh verstorbenen Franziska Pigulla für die angenehmste im ganzen Gewerbe halte. Die Audioversion meines Debütromans würde ich jedenfalls von ihr einlesen lassen. Extra Punkt für das lässig ans Mischpult gepickte Kaugummi. So zu Hause muss man sich erstmal fühlen, wenn man gerade den Schieberegler aufzieht, der in derselben Sekunde die Radiolandschaft eines ganzen Landes verändern wird. Mir liefe ja das Wasser rauf und runter, aber ich bin eh sehr leicht sehr angespannt. FM4 höre ich heute noch oft übers Internet. Das Programm hat sich verändert, die Tagschiene ist deutlich kommerziell, und einige prägende Gestalten und Mitbegründer wie Martin Blumenau leben nicht mehr.
Frau Lang, von der es heißt, sie hätte damals 2000 Schilling die Woche für Platten ausgegeben (das war umgerechnet sehr viel Geld), lebt, nach dem, was ich vor Jahren las, nicht mehr in Wien, was erklärt, weshalb ich sie dort trotz aller Verbindungen und Kontakte nie getroffen habe. Also persönlich. Lassen wir es beim fernen Radiostimmenschwärmen.
>>> FM4
